Meine Adoptivmutter sagte mir niemals die Wahrheit über meine Herkunft. Ihr ganzes Leben lang behauptete sie, ich sei ihr leibliches Kind.
Im Baudouin-Heim war ich mit Unterbrechungen vom Juli 1942 bis zum Januar 1945. Katarzyna Janecka war dort eine meiner Betreuerinnen. Im Herbst 1943, als die Deutschen die Kinderheime nach jüdischen Kindern durchsuchten, nahm mich Katarzyna aus dem Heim und versteckte mich in Okęcie. Im Dezember kehrte ich wieder ins Baudouin-Heim zurück. Nach einem Jahr, gegen Kriegsende, holten Katarzyna Janecka und Jadwiga Brzych mich wieder von dort ab.
Im Frühjahr 1945 brachte mich meine Mutter nach Krośniewice bei Kutno zu ihrer Familie. Seitdem war ich ihre Tochter. Für unterwegs hatte ich eine dick mit Butter bestrichene Stulle bekommen, was damals ein selten großer Leckerbissen war, den ich mir für später aufheben wollte; als mir dann die Butter in den Händen wegschmolz, war ich kaum zu trösten.
In Krośniewice blieben wir bis zur Befreiung. Als Mutters Schwester Gienia aus dem Lager Ravensbrück zurückkehrte, zogen wir alle nach Bielawa [Langenbielau] in Niederschlesien, das nach dem Krieg das größte Sammelbecken für polnische Juden wurde, die den Holocaust überlebt hatten.
Ich ging in den jüdischen Kindergarten und spielte auf dem Hof mit Kindern, die unterschiedlichen Glaubenbekenntnissen angehörten. Die Feiertage begingen wir gemeinsam – angefangen mit Chanukka, danach kam das katholische Weihnachtsfest und zum Schluss gingen wir zu den orthodoxen Kindern. Untereinander verständigten wir uns in unserer eigenen Sprache, d.h. einer Mischung aus Polnisch, Jiddisch, Französisch und nach 1948 kam auch noch Griechisch hinzu. Meine Mutter war kühl zu mir; sie nahm mich nicht in die Arme und küsste mich auch nicht. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mich auch nur ein einziges mal auf den Schoß genommen hätte. Später verhielt sie sich meinen Kindern gegenüber auch nicht anders. Zu Tante Gienia hatte ich einen viel besseren Kontakt.
Wichtig für meine Mutter waren ihre Arbeit – sie war Physiotherapeutin im Gesundheitszentrum – , die Kirche, die sie zweimal täglich besuchte, und der Haushalt. Sie war stets schlicht gekleidet und trug dunkle Kleider mit langem Arm.
Als ich sie nach meinem Vater fragte, bekam ich zur Antwort, dass er in Groß-Rosen kurz vor der Befreiung des Lagers gestorben sei. Ich nehme an, dass sie diesen Vater erfand, um mir nicht die Wahrheit über meine Herkunft sagen zu müssen. Sie war niemals verheiratet und hat ihr ganzes Leben mir gewidmet.