Die Familie Zalech befand sich jetzt ebenfalls in Lebensgefahr
Die Nachbarn waren beunruhigt, weil plötzlich ein fremdes Kind aufgetaucht war. Einer von ihnen, ein Ukrainer, meldete dies der Gestapo. Dank einer Intervention des Ortspfarrers und einer polnischen Dolmetscherin, die bei den Deutschen arbeitete, konnte die Familie Zalech sich aus der Affäre ziehen. Mit Hilfe der Dolmetscherin erhielten meine Eltern ein deutsches Dokument, in dem von Amts wegen bescheinigt wurde, dass ich aus einem polnischen Transport stammte und unterwegs abhanden gekommen sei. Somit war ich ein zweites Mal gerettet; denn nun durfte die Familie Zalew offiziell für mich sorgen. Doch die ukrainischen Nachbarn gaben ihre Sache noch nicht verloren. Mein neuer Vater, der befürchtete, dass bei ihrer Hartnäckigkeit schließlich doch noch die Wahrheit ans Licht käme, entschied sich daher, Rożyszcze sofort zu verlassen. Wir verzogen in ein kleines Dorf, das Irena hieß, wo wir in einem bescheidenen Haus mit zwei Räumen bei der Stiefmutter meines Vaters unterkamen.
Nach der Befreiung zogen meine Eltern nach Janów bei Łódź. Dort tauchte 1946 jemand auf, der nach mir suchte. Meine Adoptiveltern, die mich inzwischen liebgewonnen hatten, wollten mich aber nicht abgeben. Meine Mutter erzählte mir schaurige Geschichten, um mir Angst vor Fremden zu machen. Der Erfolg war, dass ich des Nachts oft schreiend aufwachte.
Meine Eltern befürchteten, ich könnte entführt werden. Als in Janów eine Angestellte einer Anwaltskanzlei aus Łódź erschien und sich nach mir erkundigte, beschloss mein Vater, in die wiedergewonnen Gebiete* an der Ostsee nach Łeba [Leba], zu ziehen. Nach vielen Jahren erfuhr ich, dass mich damals mein Großvater mütterlicherseits hatte suchen lassen. Er suchte nach mir bis an sein Lebensende. Aus der ganzen Familie war nur ich ihm geblieben.
In Łeba erfuhr ich dann, dass ich nicht zu der Familie gehörte, in der ich seit meiner Kindheit lebte. Ich war damals elf Jahr alt. Nach einem Abendessen im Familienkreis rief mich ein bereits angetrunkener Onkel zu sich, nahm mich in den Arm und brabbelte: „Du gehörst ja nicht zu unserer Familie, … aber wir haben Dich alle lieb.“ Ich stand wie vom Donner gerührt. Ich weinte die ganze Nacht lang. Ich hatte niemand, dem ich mich anvertrauen und zu dem ich gehen konnte. Mich umgab eine Mauer des Schweigens. Damals begriff ich langsam, warum meine Mutter mich nicht mochte und sich über mich lustig machte. Sie hatte sich bestimmt ein hübsches Kind gewünscht, doch ich war mager, ungelenk, traurig und immer erschrocken. Ich habe mich sehr bemüht, wenigstens ein kleines Lob von ihr zu bekommen. Es war vergeblich.