Im Alter von 18 Jahren erfuhr ich, dass ich eine Jüdin bin
Ans Ghetto erinnere ich mich nicht mehr; ich erinnere mich an nichts und niemand mehr aus dieser Zeit. Mein Leben begann am 2. Mai 1943 in der Wilcza-Straße bei meinen polnischen Eltern. Damals war ich fast vier Jahre alt. Bei ihnen war ich sicher aufgehoben und überlebte den Krieg.
Mit meinen Eltern teilte ich Freude und Leid. Im Winter 1943 kam mein Vater als Geisel ins Pawiak-Gefängnis*. Tagtäglich ging meine Mutter mit mir in die Stadt, um auf den ausgehängten Listen mit den Namen der Erschossenen nachzusehen, ob dort sein Name stand. Glücklicherweise kam er nach einigen Monaten wieder zurück.
Nach dem Krieg, in der stalinistischen Zeit, saß mein Vater als „Wirtschaftssaboteur“ sechs Jahre lang im Gefängnis. Meine Mutter, eine Russin, sprach nicht sehr gut Polnisch und musste, obwohl sie herzkrank war und zu hohen Blutdruck hatte, schwer körperlich arbeiten, um uns zu ernähren. Sie starb 1958 mit 59 Jahren.
Infolge der langen Abwesenheit meines Vaters während seiner Haft hatten wir beide uns auseinander gelebt. Er war ein älterer Herr und ich ein leichtsinniger Teenager. Nach Mutters Tod gestaltete unsere Beziehung sich noch schwieriger, und eines Tages sagte er mir im Zorn, dass ich gar nicht ihrer beider Tochter sei. Das war ein entsetzlicher Augenblick für uns beide. Zunächst schwiegen wir lange, dann erzählte er mir, was er über mein Schicksal wusste. So erfuhr ich also im Alter von 18 Jahren, dass ich ein jüdisches Kind war, das man aus dem Ghetto gerettet hatte. Es war ein gewaltiger Schock. Mir schien, als habe meine Welt innerhalb einer einzigen Sekunde aufgehört zu existieren. Alles, was ich von mir wusste, erwies sich als unwahr.
Daher begann ich damit, Spuren aus „jener Welt“ zu verfolgen. Ich fand in Israel und Großbritannien Verwandte, die den Holocaust überlebt hatten; ich sprach mit Menschen, die meine nächsten Verwandten gekannt hatten; ich durchforschte die Archive. Seit Jahren interessieren mich vor allem Menschen, die im Holocaust umkamen, und solche, die überlebt hatten. Das war für mich das Wichtigste.
Ich wurde unter einem glücklichen Stern geboren. Ich habe in meinem Leben mehr Gutes als Schlechtes erfahren. Auf meinem Lebensweg traf ich von Anfang an freundliche Menschen. Erst rettete mir jemand das Leben, dann umgab er mich mit Fürsorge, danach bekam ich alles, was ein Kind von seinen Eltern bekommen kann: Liebe, Fürsorge und Familienwärme. Kurz gesagt: ein Volltreffer – und das in jeder Hinsicht.