Mamma wiederholte immer wieder: „Nicht die ist Mutter, die Dich geboren, sondern die, die Dich erzogen hat.“
Sie war eine gebildete Frau. Vor dem Krieg hatte sie ein Geschichtsstudium und ein Studium für Sozialwissenschaften abgeschlossen, war aber der Ansicht, dass die Aufgabe Mutter zu sein, sie am vollständigsten erfüllte. Ich habe sie nie nach meinen leiblichen Eltern gefragt. Ich wusste, dass ich meine Mutter schmerzlich verletzen würde, sollte ich sie daran erinnern, dass nicht sie mich geboren hatte. Ich ähnelte meinen Eltern überhaupt nicht; beide hatten helle Haare, während ich dunkeläugig und schwarzhaarig war. Mamma versuchte meine Zweifel zu zerstreuen und erzählte mir, ich hätte mein Aussehen von einer Großmutter geerbt.
Ich wurde wie eine Prinzessin erzogen. Ich hatte keine Pflichten im Haus. Ich musste nicht aufräumen, ich musste mein Bett nicht machen, ich musste nicht kochen – ich musste nur lernen. Meine Eltern sparten nicht an meiner Erziehung. Ich ging auf eine Privatschule, die von Felizianerinnen geführt wurde. Es war dafür gesorgt, dass ich Fremdsprachen lernte. Obwohl ich in der Schule Englisch lernte, kam zusätzlich eine Englischlehrerin ins Haus. Später zog eine Mieterin ein, die nur Englisch mit mir sprach. Bei der Schwester meiner Mutter, die ebenfalls bei uns wohnte, lernte ich zusätzlich Russisch. Dank meinen Eltern hatte ich so einen zweiten Beruf, d.h. ich arbeitete auch als Reiseleiterin bzw. Fremdenführerin.
Für meine Eltern war ich ihr eigenes Kind, und ich fühlte auch stets, dass ich ihre Tochter war. Sie gaben mir das Gefühl, in Sicherheit, geschützt und geliebt zu sein. Ihre Belohnung war das Bewusstsein, mich gut erzogen zu haben. Als ich im vergangenen Jahr meine Auszeichnung empfing, dachte ich an sie. Ich weiß, dass sie stolz auf mich gewesen wären. Man kann ein Adoptivkind wie sein eigenes lieben. Ich habe das als Kind und als Mutter erfahren. Ich habe einen Adoptivsohn, der als Jugendlicher in unsere Familie kam. Meine Adoptiveltern waren großartige Menschen. Von ihnen erhielt ich nur das Beste. Aber meine eigenen Wurzeln, meine tatsächliche Familie, den Platz in der Geschichte des jüdischen Volkes konnten sie mir nicht geben. Menschen ohne Wurzeln haben es schwer im Leben.