Die ganze Zeit über lebte ich versteckt. Hörte ich jemand kommen, verkroch ich mich von allein im Schrank.
Großmutter Antonina wohnte zusammen mit ihrer Tochter Natalia Kosko, einer kinderlosen Witwe, die später meine Mutter wurde. Anfangs war Natalia dagegen, ein jüdisches Kind zu verstecken, doch ihre Mutter setzte sich durch. Im Übrigen rechneten beide damit, dass meine Eltern wiederkämen, um mich abzuholen; aber es vergingen Wochen und sie kamen nicht.
Natalia hatte große Angst, sie wusste, dass sie mit einem fremden Kind im Haus, ohne jeden Ausweis ihr Leben aufs Spiel setzte. Ihre Mutter überzeugte sie, dass es am besten sei, mich als ihr Kind taufen zu lassen. Sie bat den Ortspfarrer um Hilfe, dem ich verdanke, dass am 18. Oktober 1943 nach Einbruch der Dunkelheit meine Taufe stattfand. Damit war ich die Tochter von Natalia Kosko, verwitwet, 43 Jahre (der Pfarrer hatte meine Mutter um sieben Jahre verjüngt, sodass ich durchaus noch ihre Tochter hätte sein können).
Ich hatte nun echte Papiere, aber meine Mutter befürchtete weiterhin, uns könnte jemand bei den Deutschen anzeigen und versteckte mich zu Hause. Vor lauter Angst trank sie schwarzgebrannten Schnaps. So lernte sie damals trinken.
Oma Antonina kümmerte sich um mich wie um eine eigene Enkelin. Sie starb 1944. Nach der Befreiung wollte meine Mutter nicht länger in Bełżyce bleiben, als bekannt wurde, dass dort zwei Juden, die den Holocaust überlebt hatten, nach ihrer Rückkehr ermordet worden waren. Sie befürchtete, dass jemand mich als Jüdin erkennen könnte und wir dann darunter zu leiden hätten.
So fuhren wir in die wiedergewonnenen Gebiete*, nach Słupsk [Stolp / Pommern]. Meine Mutter nähte mit der Maschine Mützen, die ich mit der Hand zu Ende fertigstellte, und verkaufte sie auf dem Markt. Was wir verdienten, reichte knapp zum Leben. Ich hatte nur ein einziges Kleid, das ich das ganze Jahr über trug. Meine Mutter achtete sehr darauf, dass ich in der Schule gut lernte. Das war für sie das Wichtigste. Trotz unserer schwierigen Lage erreichte sie, dass ich mein Studium abschloss. Sie war weder überschwänglich noch zärtlich, sie küsste mich nie und nahm mich nie in die Arme. Aber sie hatte mich sehr gern. Sie sagte mir einmal, dass sie für mich durchs Feuer ginge. Ihr war sehr daran gelegen, dass ich zur Kommunion ging, aber ich fiel durch die Prüfung und ging erst zu einem späteren Termin. Obwohl ich eine gute Schülerin war, konnte ich Gebete einfach nicht auswendig lernen. Damals bekam ich zum ersten Mal im Leben von ihr Schläge.
Als ich zwölf war, kam mir die Ahnung, dass Natalia nicht meine leibliche Mutter sein könnte. Ich spürte das an ihrem Verhalten, an ihrer Kälte und an der Art und Weise wie sie mich behandelte. Ich fragte sie direkt und sie sagte mir die Wahrheit.