Mich rettete Władysław Seroczyński, der später mein Vater wurde.
Als er mich dort liegen sah, wusste er sofort, dass er nicht zulassen konnte, mich den Deutschen zu übergeben – was auch immer die Folgen sein mochten. Er nahm den Gendarmen beiseite und erklärte ihm lange etwas auf Deutsch. Schließlich drehte sich der Deutsche um, sah mich an und … ging aus der Tür.
Und so wurde ich das Kind von Maria und Władyslaw Seroczyński. Meine Adoptiveltern hatten keine eigenen Kinder, und tauften mich gleich im November 1944 als ihre Tochter. Viele Jahre lang war der Taufschein das einzige Dokument, dass meine Existenz bezeugte. Er diente später als Grundlage für meine Geburtsurkunde. Ich habe mir wiederholt überlegt, ob ich tatsächlich am 3. März 1940 geboren bin. Ich werde es nie erfahren; denn der Zettel, auf dem meine leibliche Mutter mein Geburtsdatum vermerkt hatte, ist abhanden gekommen, und diejenigen, die von meiner Geburt wussten, leben nicht mehr.
Nach Kriegsende wollten meine neuen Eltern sich möglichst rasch wieder in Polen befinden und fuhren mit dem ersten Transport dorthin. Sie wollten alle Spuren verwischen, die davon zeugten, dass ich ein jüdisches Adoptivkind war. Die Repatrianten aus Wilna wurden in Pomorze [Pommerellen bzw. Pommern] angesiedelt; auch mein Patenonkel kam dorthin, der Neffe von Papa Seroczyński – und mit ihm das Geheimnis meiner Herkunft, das so, von Mund zu Mund weitergegeben, an den Ort gelangte, in dem ich mit meinen Eltern lebte.
Eines Tages tauchten zwei Männer bei uns auf und erkundigten sich nach mir. Mein Vater war sehr erregt, schloss sich mit ihnen im Zimmer ein, wo sie lange miteinander sprachen. Offensichtlich hatte er sie davon überzeugen können, dass ich keine Jüdin war; denn sie ließen sich nicht wieder blicken.
Meine Eltern wollten sich nicht von mir trennen. Für sie war ich ihr eigenes Kind, das sie liebten. Sie selbst sagten mir nie die Wahrheit über meine Herkunft, obwohl die ganze Stadt Bescheid wusste. Solange ich klein war, begriff ich die Anspielungen und Sticheleien nicht, die ich zu hören bekam. Als ich älter wurde, fiel mir jedoch auf, das irgendetwas mit mir nicht stimmen musste. Als ich meine Mutter fragte, ob ich wirklich ihre Tochter sei, fing sie an zu weinen. Da ich sie nicht verletzen wollte, fragte ich nicht weiter.
Meine Eltern waren herzensgute Menschen, die für das Schicksal von Kindern empfänglich waren. Vor dem Krieg hatten sie in ihrem Haus mehrere Neffen meiner Mutter großgezogen. Dann adoptierten sie mich und ein paar Jahre später nahmen sie einen kleinen Jungen, einen entfernten Verwandten, zu sich.
Meine Mutter war streng und anspruchsvoll. Wahrscheinlich war sie selbst auch so erzogen worden. Mein Vater dagegen liebte es, Kinder um sich zu haben. Auf dem Hof spielte er mit allen kleinen Kindern, die ihn dann auch „Papa“ nannten.
Der Tod meines Vaters ging mir sehr nahe. Ich konnte mir nicht vorstellen, auch noch meine Mutter zu verlieren. Zum Glück war ihr ein langes Leben vergönnt. Wir wohnten nicht zusammen, aber ich habe sie täglich besucht. Sie war dankbar für meine Fürsorge und sagte immer wieder, dass sie ohne mich schon längst nicht mehr leben würde. Sie starb unter meinen Händen.